„Miroloi“
Die junge Frau ist ohne Namen aufgewachsen. Als Baby wurde sie in einer Pappschachtel vor die Stufen des Bethauses gelegt. Seitdem ist sie in dem Dorf auf einer einsamen Insel im Meer an allem Schuld, was schief geht. Frauen haben in dieser archaischen Gesellschaft sowieso keine Rechte, aber das Mädchen ohne Namen hat noch weniger als das. Wer sich nicht an die Regeln hält, dem droht nackte Gewalt.
Wer aus den Bergen runter ans Meer möchte, wird vom Wächter abgefangen und im Dorf an den Pfahl gestellt. Dort geschieht Schlimmeres. Auf den ersten Blick aber herrscht Dorfidyll. Es werden Oliven geerntet, in den Bergen duftet es nach wilden Kräutern, die Frauen backen gemeinsam Brot und unten schimmert dunkelblau das Meer.
Das Mädchen ohne Namen hat zwei sehnliche Wünsche. Es möchte wissen, wer seine Mutter ist und es möchte lesen lernen. Als ihr Ziehvater es ihr im Geheimen beibringt, eröffnet sich ihr eine neue Welt. Sie bricht aber nicht nur diese Regel, sondern sie verliebt sich auch. Ihr als Rechtlose steht das nicht zu, aber sie und ihr Geliebter übertreten das Verbot.
Eingebettet ist diese dramatische Geschichte in ein Inselidyll, eine griechische Insel, es ist nicht ganz klar, wann. Aber es ist gleichzeitig ein mythischer Ort, der überall sein könnte, wo die Stärkeren die absolute Macht über Schutzlose haben. Das war in grauer Vorzeit so und in vielen Teilen der Welt ist es immer noch so. Die Kapitel sind als Verse überschrieben, vielleicht eine Hommage an Homer, den Vater aller Epen, dessen Geschichten auf den griechischen Meeren spielen. Dieses Buch hat mich zum Weinen gebracht, das ist mir bisher nicht bei vielen Büchern passiert. Aber es ist auch ein Buch der Hoffnung, die Sprache von Karen Köhler ist stark und wunderschön. Die Ausstattung des Buchs ist eine Augenweide, preisgekrönt. Ich habe es nicht mehr aus der Hand gelegt.