Summer Read

Ich dachte, „Happiness Falls“ von Angie Kim sei ein Thriller. Ich fand – ja! – das Cover toll und das Setting interessant: eine koreanisch-amerikanische Familie, die in einer Vorstadt von Washington D.C. lebt. Mutter promovierte Linguistin, die viel arbeitet. Vater, einst hochbezahlter Berater, der zuhause bleibt und sich um die drei Kinder kümmert. Eines Tages kehrt er von einer Wanderung in die Wälder Virginias nicht zurück. Das jüngste Kind, das mit ihm unterwegs war, kann nichts von seinem Verschwinden erzählen – der Junge ist Autist und stumm. Die Polizei ermittelt, die Familie auch – mit unterschiedlichen Absichten und Konsequenzen. Und plötzlich ist das Buch eben so viel mehr als ein ungelöster Fall. Es stellt bemerkenswerte, berührende Fragen: Wie funktioniert ein Familiengefüge mit behindertem Kind? Sprechen wir nicht unbewusst und viel zu schnell, Menschen, die sich nicht richtig oder gar nicht ausdrücken können, die Intelligenz ab? Auch: Wie lebt es sich als amerikanisches Kind mit koreanischen Wurzeln? Vor allem aber: Woran messen wir überhaupt Glück? Die Tochter, die sich an ihre eigenen Ermittlungen macht, ist eine motzige, wenn auch begabte Studentin. Verschlossen und sarkastisch ließ sie ihre Eltern und Geschwister schon länger nicht mehr an ihrem Leben teilhaben. Jetzt fördert sie Geheimnisse ihres Vaters zutage und wünscht, sie wäre mehr mit ihm im Gespräch geblieben. Letztlich ist es ein Buch über tiefe Liebe innerhalb einer sehr besonderen Familie. Es gibt Denkanstöße, die einem die Augen, das Herz öffnen. So etwas als literarischen Pageturner im Tonfall der GenZ zu schreiben, ist eine Meisterleistung. Erschienen bei Hanserblau.